Ich hab ja nichts gegen Flüchtlinge, aber ...
Furchtbarer Satz. Und alle regen sich auf und es wird gehetzt hin und her.
Manche vergessen, wie es ist, ein Flüchtling zu sein. Ich rede jetzt nicht nur von dem, der aus einem anderen Land kommt, oder in ein anderes Land flieht. Ich rede von dir und von ... MIR.
Ich war ein Flüchtling und wer weiß, ich kann jederzeit wieder einer werden.
Ich war 18 und bin von Zuhause geflüchtet. Aus einen Zuhause, welches für mich unerträglich war. Welches keines mehr war. Es gab für mich keine Alternative, ich musste weg.
Nach einigen Wochen die ich bei meinem Freund unterkriechen konnte, fand ich tatsächlich eine Wohnung. Ich war in der 11. Klasse des Gymnasiums und hatte nichts. Außer einem Auto voll Kram, den ich mitnehmen konnte und Freunden.
Ich hatte kein Geld, weil mein Vater nicht einsehen wollte, dass ich nicht mehr bei ihm wohnen konnte. Ich ging dann zum Sozialamt. Dort bekam ich auch erst einmal kein Geld. Ich musste gegen meinen Vater Klage erheben. Das hieß Prozesskostenhilfe und warten warten warten.
Es war Winter, es war kalt. Ich hatte kein Geld. Mein Vater schlug mir allen Ernstes vor, ich könne jeden Tag bei ihm vorbei kommen und mir ein Essenspaket abholen. Jede Woche kam ein Brief seines Anwalts, in dem mir erklärt wurde, warum ich zurück müsste. Ich hatte Hunger und es wurde kälter.
Ich bin irgendwann mit einem Leiterwägelchen in den Wald und habe Holz gesammelt, da meine Wohnung nur ein Öfchen hatte. Holz, welches auf dem Boden rumliegt ist aber schlechtes Holz. Es brennt nur kurz. Morgens blühten die Eisblumen innen an meinen Fenstern. Meine kleine Katze, die mir zugelaufen war, kroch unter meine Decke weil es so kalt war. Es war kalt, bis ich das Holz zum brennen bekam. Dann musste ich in die Schule und es war kalt, wenn ich zurückkam, weil keine Glut mehr da war. Ich ging wieder zum Sozialamt und schilderte jemandem meine Situation. Der Mensch konnte das nicht glauben. Ich bekam Geld und kaufte Briketts. Das war irre. Wärme ...
Ich hatte oft nicht viel zu essen, wog aufgrund der Situation nur noch 45 Kilo und musste ein Jahr wiederholen, da es mir so nicht möglich war, das Abitur zu machen. Irgendwann bezahlte mein Vater mir doch etwas, aber ...
Ich hätte das nie geschafft ohne die Hilfe meiner Freunde. Ohne Leute, die mir Essen gebracht haben. Ohne meine Mutter, die zwar weit weg wohnte, mir aber immer geschickt hat, was sie konnte. Ohne Menschen, die mir gutes Holz geschenkt haben und mich mietfrei wohnen ließen.
Ich werde das alles nie vergessen und daher ... weiß ich ein bisschen wie man sich als Flüchtling fühlt. Viele haben sicher damals gedacht: ist die blöd? Warum ist die von Zuhause weg? Ihr Vater ist reich. Wat macht die da? Was soll das? Egotrip oder was? Aber viele haben auch verstanden, dass es für mich um Leib und Leben ging. Ich musste weg. (Nein, mein Vater war nicht gewalttätig im physischen Sinn. Es war eher psychisch. Aber das gehört nicht hierher.)
Und welche Gründe auch immer: ich habe ein Zuhause verlassen und alles mögliche auf mich genommen und ... ich hab es überlebt weil ich Hilfe hatte. Und seitdem helfe ich selbst wo ich kann. Und weiß, wie man sich fühlt.
Ja, die Flüchtlinge sind vielleicht seltsam, aber ... sie brauchen Hilfe.
Und wenn ich heute meine Gastherme aufdrehe und die warme Luft aus der Heizung strömt, dann bin ich immer noch dankbar. Sie sind das sicher auch. Und ich bin mir auch sicher, dass sie alles zurückzahlen, irgendwie. Sie meisten, die ich kenne sind harte Arbeiter, die wollen nicht rumsitzen und daddeln. Und die kommen auch nicht freiwillig. So wie ich damals nicht freiwillig und aus Spaß an der Freud geflohen bin.
Ich leide gerade unter dem Fremdenhass. Ich kann es nicht nachvollziehen und ich will es auch nicht. Wir sind alle mal Flüchtlinge. Es kann jedem passieren. Aber wem sag ich das? Ich glaube eigentlich, dass niemand, den ich hier so kenne und der diesen Blog liest, fremdenfeindlich ist. Falls doch ... bitte ... bitte ... hör auf. Denk daran, wie du einmal Hilfe nötig gehabt hast und wie dankbar du warst.
Ich bin es immer noch.
Und ich werde jedem helfen, denn ich weiß nicht, wann ich mal wieder Hilfe brauche.
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Claudia (Sonntag, 11 Oktober 2015 22:19)
<3
Jacqueline (Sonntag, 10 Januar 2016 20:27)
Danke für die wunderbaren Worte <3